Der russische Blick auf die Shoah
Keywords:
Holocaust memory in Russia, collective memory, memory places, Rostov on Don, narrative interviewsAbstract
Die Erinnerung an den Holocaust hat in Russland seit dem Zerfall der Sowjetunion, wie auch während deren Bestehen, keinen Platz im kollektiven Gedächtnis erhalten, Gedenkstätten und Lehrwerke widmen sich dem Thema nur marginal. Eine russlandweite quantitative Studie untersuchte 2008 den Zusammenhang zwischen Toleranz und Wissen zum Holocaust innerhalb der russischen Bevölkerung und kam zum Ergebnis, dass die Mehrheit der Russen nicht über den Holocaust, seine Opfer und deren Zahl informiert ist. Angesichts der Tatsache, dass das heutige russische Staatsgebiet in mindestens 400 Fällen Schauplatz des Genozids an europäischen und sowjetischen Juden war, wirft dieser Befund Fragen nach den Ursachen dieses Ausblendens auf.
Der Frage, wie sich heute Menschen an einem ehemaligen Tatort an die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung erinnern, wurde exemplarisch am Beispiel der Stadt Rostow-am-Don nachgegangen. Die südrussische Stadt wurde im August 1942 Schauplatz eines Mas- sakers, bei dem Angehörige des Sonderkommandos 10a der Einsatzgruppe D innerhalb von drei Tagen die jüdische Bevölkerung der Stadt auslöschten. Im Rahmen einer in Rostow durchgeführten qualitativen Studie wurden von September bis November 2011 25 narrative Interviews mit Rostower Bürgern unterschiedlicher Altersgruppen geführt, deren Ziel es ist, bestehende Narrative und individuelle Erinnerungen an dieses Verbrechen zu erfassen und der offiziellen Erinnerungskultur vergleichend gegenüber zu stellen.
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